Mein Schlüsselerlebnis

Wie ein Schlüsselerlebnis meine berufliche Laufbahn beeinflusste und bis heute prägt.

Ich befand mich 1985 mit meinem neu erworbenen Fachwissen über den menschlichen Körper und die physiotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten nach meinem staatlichen Examen als frisch examinierte Physiotherapeutin in einer Rehabilitationsklinik für Orthopädie, Neurologie, Unfallnachversorgung und Psychosomatik.

Der damalige Stationsarzt begrüßte eine neue Patientin. Sie kam nach dem Krankenhausaufenthalt wegen eines Schlaganfalls mit Hemiplegie zur Rehabilitation. Ihr Ehemann hatte sie gerade gebracht und half beim Koffer auspacken. Als alle Teilnehmer der Stationsvisite das Zimmer wieder verließen, sprach mich der Ehemann mit verärgertem  Tonfall auf dem Flur an:
„Ich verstehe nicht, was das hier bringen soll, sie wird doch eh nie wieder richtig laufen können. Meine Frau war ja schon lange im Krankenhaus und es hat sich kaum was verändert. Jetzt soll sie auch noch hierher. Dieser ganze Zirkus bringt doch eh nichts.“

Nachdem es aus ihm herausgeplatzt war, besann er sich und fragte etwas ruhiger: „Wie lange soll denn das hier dauern? Wissen Sie, meine Mutter muss ja auch noch gepflegt werden und eigentlich wollten wir uns jetzt mal endlich Zeit fürs Wandern nehmen. Meine Frau hat sich seit dem Schlaganfall so verändert, sie ist nicht mehr wie früher …“
Seine Stimme klang jetzt eher unsicher und hilflos. Eine Krankenschwester hatte diese kurze Situation mitbekommen und nahm sich seiner an.

Mir gingen seine Worte noch lange durch den Kopf. Einerseits entsetzte mich seine verärgerte und pessimistische Einstellung. Ich selbst war ganz begeistert von der Physiotherapie und den erfolgversprechenden Behandlungsmöglichkeiten. Auch die Klinik hatte einen sehr guten Ruf. Wie konnte er so wenig Hoffnung haben? Und ich dachte an seine Frau. Sie wirkte zwar unsicher in ihrer Situation und körperlich sehr geschwächt aber gleichzeitig auch voller Tatendrang. Sie ist wohl ein sehr aktiver und lebenslustiger Mensch gewesen und hat immer versucht, das Beste aus allem zu machen. Wie würde sich seine Einstellung auf ihr Befinden und die Rehabilitationschancen auswirken?
Andererseits konnte ich ihn auch verstehen. Er musste zu Hause sicher viele ungewohnte Aufgaben übernehmen und kam vielleicht mit den Anforderungen nicht immer gut zurecht.
Als ich sie behandelte, erzählte sie mir, wie sehr sie sich auf ihren Rentenbeginn gefreut hatten und dass sie einen lang ersehnten Wanderurlaub geplant hatten. Er hatte sie sogar mit einem gebuchten Wellnessangebot in einer sehr schönen Pension am Urlaubsort überraschen wollen. Beide haben immer sehr viel gearbeitet. Sie selbst kam mit ihrer Situation und den Beeinträchtigungen zunächst nicht gut zurecht. Selber krank zu sein, nicht mehr alles selbständig tun zu können und auf Hilfe angewiesen zu sein war für sie eine besondere Herausforderung und extrem große Umstellung. Bisher hatte sie sich immer um alle anderen gekümmert und nun stand sie plötzlich im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Sie musste nun erstmal an sich denken.

Nach einigen Wochen traf ich das Ehepaar zufällig auf dem Parkplatz der Klinik wieder. Er lud den Koffer ins Auto und als ich beiden alles Gute wünschte, sprach er mich wieder an.
„Wissen Sie, ich bin so froh, dass meine Frau so tolle Fortschritte gemacht hat. Sie lacht wieder und ist trotz allem so positiv und lebensfroh. Und den gemeinsamen Urlaub können wir doch noch antreten. Ich habe ein anderes, sehr schönes Angebot gefunden. Dort gibt es Wege, die sie mit dem Rollator befahren kann. Und meine Mutter wird in dieser Zeit auch gut versorgt sein.“

Später arbeitete ich im ambulanten Bereich und führte physiotherapeutische Behandlungen bei Hausbesuchen durch. Ich erlebte dort noch viel häufiger ähnliche Situationen: Erwachsene jeden Alters, die durch Unfall oder chronische Erkrankungen in ihrem Leben und ihrer Mobilität extrem eingeschränkt waren. Sie und ihre Partner fühlten sich nicht selten mit der Organisation von Terminen bei Ärzten und Behandlern, Medikamentengabe u.v.m. sehr gefordert. Sie mussten sich auch auf die neue Lebenssituation einstellen und ihre Alltagsroutinen umstellen oder teilweise aufgeben. Das ging alles einher mit einem Auf und Ab der Gefühle. Zukunftsangst, Traurigkeit wechselten sich mit Wut, bezogen auf diese schwierige Situation ab. Nicht selten erlebten die Angehörigen ihre Partner/Partnerin auch in der psychischen Verfassung stark verändert. Manchmal wussten beide nicht, wie sie mit der Situation oder miteinander oder einem bevorstehenden Abschied umgehen sollten.

Ich nahm mir häufig zusätzlich Zeit für ein Gespräch, spendete Trost oder sprach ein stilles Gebet am Krankenbett. Aus diesen Erfahrungen heraus beschloss ich, weitere Ausbildungen zu machen. Ich wollte Menschen in diesen schwierigen, seelisch extrem belasteten Lebenssituationen adäquat beiseite stehen und sie psychologisch begleiten können.

Deshalb biete ich heute – nach vielen Fort-/Weiterbildungen und über viele Jahre gesammelte Erfahrung – psychologische Unterstützung und Hilfe für körperlich erkrankte Personen und ihre Angehörigen an, die sich in seelisch belastenden Lebensphasen befinden.

Sie können sich nach Absprache persönlich an mich wenden. Hinterlassen Sie Ihre Nachricht auf meinem Anrufbeantworter – ich rufe, sobald es mir möglich ist, zurück. Das erste telefonische Beratungsgespräch zur Abklärung der Situation ist für Sie kostenfrei.